Peter Reinhard

Vom «linke Siech» zur festen Politgrösse

Abschied 44 Jahrelang war Peter Reinhard das Rückgrat der EVP, der ältesten und stabilsten Volkspartei der Schweiz. Mit ihm tritt ein Lebemann im besten Sinn ab. Sein grösster PR-Coup war die Wahl von Pfarrer Sieber als EVP-Nationalrat.

Er war das Hirn, der Wahlstratege, das Büro,der gute Geist–aber nie das Aushängeschild der EVP. Heute Abend verabschiedet die Partei Peter Reinhard in diePension. Politikerinnen und Politiker kamen und gingen in den letzten 44 Jahren, Parteien wurden gegründet, fusioniert, verschwanden. Etwa die Nationale Aktion, die Republikaner, der LdU, die Auto-Partei oder–zumindest fast –die Schweizer Demokraten. Nur die kleine EVP blieb. 1917 in Zürich gegründet, stellte sie 100 Jahre lang mindestens einen Nationalrat und immer eine Handvoll Kantonsräte in Zürich. Symbol für diese Beständigkeit ist Peter Reinhard aus Kloten. Evangelische Volkspartei – das tönt nach Frömmlern, nach Bibel,nach politischer Langeweile. Doch Reinhard hebt sich markant von diesem Klischee ab. Er kam 1973 als langhaariger«linke Siech»in die EVP, weil er sich im Jugend-und Freizeitzentrum Opfikon einen Namen gemacht hatte. Und so wurde Reinhard am 3. Februar 1974, einen Monat nach seinem 20. Geburtstag, in Opfikon zum jüngsten Gemeinderat der Schweiz gewählt. Für die EVP.

Das statistische Gewissen
Reinhard gäbe, vom Habitus her, auch einen moderaten Genossen ab. Die SP und der Landesring hatten damals ebenfalls um den 20-Jährigen gebuhlt. «Doch diese haben im Jugendhaus nur gelafert statt geliefert.»Und so wurde aus dem ehemaligen KV-Stift bald der Herr Gemeinderat und wenig später der vollamtliche Geschäftsführer der EVP. Gleichzeitig begann bei der FDP ein gewisser Eric Honegger, Bundesratssohn, als Parteisekretär. Und zehn Jahre später Hans Fehr bei der SVP. Reinhard hat es wie kein anderer geschafft, sich mit einer Ansammlung von Mandaten so gut im Geschäft zu halten, dass er weit über die Kleinpartei EVP hinaus eine feste Grösse wurde. Zwei Merkmale prägten die Marke Reinhard. Erstens seine Computerkünste. Bevor das Statistische Amt des Kantons hochgerüstet hatte, war er das statistische Gewissen aller Parteien. Keiner rechnete so zuverlässig Wahlallianzen aus wie Reinhard. Das kam auch der EVP zugute, die in den Siebzigerjahren bis zu 14 Kantonsräte stellte. Die Abspaltung der EDU 1975 schadete der EVP beim Wähleranteil,nützte ihr aber beim Image. Die EVPler sind seither nicht mehr die ganz Frommen,sondern in etwa das reformierte Pendant der CVP. Mit zwei Unterschieden: Die EVP ist etwas linker und umweltbewusster als die CVP. Und
die EVP ist vom Wähleranteil her im Kanton erstaunlich stabil mit 4 bis 5 Prozent. Die einst fast dreimal so starke CVP hingegen ist am letzten Sonntag aufs Niveau der EVP abgerutscht – beide stellen acht Sitze im Kantonsrat. Ebenfalls zur Marke Reinhard gehört seine «unkonventionelle Art», wie es Parteifreund und EVP-Nationalrat Nik Gugger umschreibt. Reinhard ist ein Lebemann im besten Sinn. Er isst und trinkt und reist gerne und hatte im Kantonsrat in jüngeren Jahren gar mit kleineren Eskapaden von sich reden gemacht. Aber noch lieber arbeitet er, «leidenschaftlich und lustvoll», so
Gugger, «und immer mit einem christlichen Kompasskurs». Reinhard arrondierte das Sekretärenamt einer Kleinpartei–Anfangslohn waren 2100 Franken –mit Verwaltungsratsmandaten bei Axpo und EKZ, er war Präsident der Flughafenpolizei und der Kantonspolizeigewerkschaft und 23 Jahre lang Kantonsrat. Und er führt noch immer die Vereinigten Personalverbände mit 20000 Mitgliedern. Für solche Jobs ist die EVP ideal: Polizisten wollen keine Linke, erst recht aber keine,die bei ihnen sparen. Persönlich blieb Peter Reinhard der grosse politische Durchbruch verwehrt. Immer wieder
kamen bei Nationalratswahlen dem Strategen im Hintergrund andere zuvor. So war Reinhards grösster PR-Coup die Wahl von Pfarrer Ernst Sieber als EVP-Nationalrat. «Schwellen-Ruedi» Aeschbacher war Stadtrat in Zürich, Maja Ingold in Winterthur. Bei Regierungsratswahlen jedoch war die EVP immer chancenlos.

Über Stromkabel gestolpert
«Wir nehmen eben keine schlagzeilenträchtigen Polpositionen ein»,sagt Reinhard,«wir sind lösungsorientiert und unspektakulär.»Als Mittepartei ist die EVP weder im bürgerlichen Bündnis noch im linken gefragt. Reinhards strategische Zukunftshoffnung: Wenn die CVP einmal keinen Regierungsrat mehr stelle und nicht mehr Richtung SVP und FDP schielen müsse–«dann sind wir offen für eine gemeinsame Wertepolitik». Reinhards Abschied von Parteisekretariat und Politik wird ihm im Moment durch einen Unfall zusätzlich erschwert – einen Unfall allerdings, über den alle schmunzeln. Strom-Verwaltungsrat Reinhard ist nämlich über das Stromkabel seines Elektroautos gestolpert, hat sich die Schulter ausgerenkt und drei Sehnen gerissen. Ganz nach dem Motto: Voller Einsatz für EVP und EKZ.

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